Keine Pflicht zur Barrierefreiheit?

Monika Ruff-Händelkes, MdL
Monika Ruff-Händelkes, MdL

Die SPD-Landtagsabgeordnete Monika Ruff-Händelkes hatte eine sog. Kleine Anfrage zur Barrierefreiheit der neuen Versorgungsämter gestellt. Anlass waren die Beschwerden von Bürgerinnen und Bürgern gewesen, die lediglich unter größten Mühen mit Rollstühlen das neue Versorgungsamt in Mönchengladbach erreichen konnten. Die Reaktion der Landesregierung ist für Ruff-Händelkes lediglich eine schwammige Antwort. Rechtlich gesehen gibt es keine Verpflichtung zur Barrierefreiheit. Lediglich sollen alle öffentlichen Träger, also auch die Kommunen, „aktiv daraufhin“ arbeiten. Der zuständige Minister Laumann schiebt die Verantwortung auf die Kommunen und Kreise ab und verweist auf das „verfassungsrechtlich geschützte kommunale Selbstverwaltungsrecht“. Den Vorlauf für die Vorbereitung der Räumlichkeiten hält die Landesregierung für ausreichend. Schließlich habe die Landesregierung bereits im Mai 2006 die Verlagerung der Versorgungsämter auf die kommunale Ebene beschlossen. Dabei ignoriert die Regierung, dass das entsprechende Landesgesetz erst am 24.10.2007 im Parlament von NRW beschlossen worden ist, die Neustrukturierung ab dem 01.01.2008 gilt. Die Antwort offenbart auch, dass die Landesregierung keine Information beisitzt, wie viele kommunale Gebäude barrierefrei sind. Diese Unkenntnis ist bedauerlich. „Die Landesregierung betont andauernd, dass sie die Kommunen in NRW stärkt. Trotzdem weiß sie nicht, was im Land läuft“, so Monika Ruff-Händelkes.

Wann kommt die Barrierefreiheit für die Versorgungsämter?
Wortlaut der Kleinen Anfrage 2249 vom 17. Januar 2008:
Nach der Neustrukturierung der Versorgungsämter zum 01.01.2008 befindet sich das zuständige
Amt für die Bürgerinnen und Bürger des Kreises Viersen in Mönchengladbach. Am
10.01. und 11.01.2008 berichtete die Rheinische Post über Schwierigkeiten des Zuganges
zu den Verwaltungsräumen. Heinz-Jürgen Antwerpes, Sprecher des Arbeitskreises für Behindertenfragen
in der Stadt Viersen, der auch die Interessen der Rollstuhlfahrer vertritt, wies
auf Beschwerden von Menschen mit Behinderungen hin. Demnach fehlt es im Verwaltungsgebäude
an geeigneten Aufzügen, die Wegeführung ist umständlich und die Türen sind lediglich
manuell zu öffnen.
In diesem Zusammenhang frage ich die Landesregierung:
1. Gilt das Behinderten-Gleichstellungsgesetz nicht mehr für die Versorgungsämter?
2. Welchen zeitlichen Vorlauf hatten die Kommunen für die Vorbereitung der Räumlichkeiten?
3. Wie viele städtische Gebäude, in denen seit dem 01.01.2008 Versorgungsämter untergebracht
sind, sind nicht barrierefrei?
4. Welche Zeiträume stehen den Kommunen nun für nachträgliche Umbauten zur Verfügung?
5. In welcher Höhe erhalten die Kommunen eine finanzielle Unterstützung vom Land
NRW um die Räumlichkeiten barrierefrei zu gestalten?

Antwort des Ministers für Arbeit, Gesundheit und Soziales vom 4. März 2008 namens
der Landeregierung im Einvernehmen mit dem Finanzminister, dem Innenminister und dem
Minister für Bauen und Verkehr:

Vorbemerkung
Durch das am 24. Oktober 2007 vom Landtag beschlossene Zweite Gesetz zur Straffung der
Behördenstruktur in Nordrhein-Westfalen sind die 11 staatlichen Versorgungsämter mit Ablauf
des 31. Dezember 2007 aufgelöst und ihre Aufgaben mit Wirkung vom 1. Januar 2008 weitgehend kommunalisiert worden. Die Aufgabenbereiche des Schwerbehindertenrechts und des Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetzes sind auf die Kreise und kreisfreien Städte, der Aufgabenbereich des sozialen Entschädigungsrechts einschließlich des Kriegsopferrechts auf die beiden Landschaftsverbände übertragen worden. Die übrigen Aufgabenbereiche sind auf die Bezirksregierungen übergegangen. Damit ist die staatliche Versorgungsverwaltung seit dem 1. Januar 2008 vollständig aufgelöst.
Die Auswahl und Gestaltung der Verwaltungsräume und ihres Zugangs für die Bürger liegt aufgrund des verfassungsrechtlich geschützten kommunalen Selbstverwaltungsrechts in der alleinigen Verantwortung der Kommunen. Dem Land obliegt lediglich eine allgemeine Aufsicht, die sich ausschließlich darauf erstreckt, dass die Kommunen im Einklang mit geltendem Recht verwaltet werden. Anhaltspunkte für das Vorliegen von Rechtsverstößen im Zusammenhang mit der Gestaltung von kommunalen Verwaltungsgebäuden liegen der Landesregierung
nicht vor.
Vor diesem Hintergrund werden die Fragen wie folgt beantwortet:
Zur Frage 1
Das Behindertengleichstellungsgesetzes (BGG NRW) findet auf die neuen Aufgabenträger
Anwendung.
Die §§ 1 und 7 des BGG NRW enthalten Aussagen zur Barrierefreiheit der Bausubstanz/des
Altbaubestandes der Öffentlichen Hand und gelten auch für Gemeinden und Gemeindeverbände.
Nach § 7 BGG NRW in Verbindung mit der Landesbauordnung (BauO NRW) muss Barrierefreiheit
bei Neubauten oder bauordnungsrechtlich relevanten Änderungen beachtet werden.
Die Entscheidung eines Trägers, welches ggf. bereits vorhandene Gebäude er auswählt,
wird von § 7 BGG NRW nicht erfasst. Ebenso wenig besteht eine Verpflichtung der Nachrüstung
barrierebehafteter Gebäude.
§ 1 Abs. 2 Satz 3 BGG NRW verpflichtet aber alle Träger der öffentlichen Hand, aktiv darauf
hin zuarbeiten, dass bestehende Benachteiligungen für Menschen mit Behinderung beseitigt
werden und neue Benachteiligungen erst gar nicht entstehen. Dies kann im Einzelfall aktive
Problemanalysen vor Ort und darauf abgestimmte Maßnahmen erfordern (Drucksache
13/3855 vom 5. Mai 2003, Seite 49). Den Gemeinden obliegt es damit in eigener Verantwortung, bei der Entscheidung über die Verwendung von Dienstgebäuden zu prüfen, ob sie für den entsprechenden Zweck und Personenkreis nutzbar sind. § 1 Abs. 2 Satz 4 BGG NRW verpflichtet als „Soll-Vorschrift“ in diesem Zusammenhang, die Kompetenz und Erfahrung der
Organisationen und Verbände behinderter Menschen zu nutzen.
Zur Frage 2
Die Landesregierung hat die Reform der Versorgungsverwaltung bereits am 2. Mai 2006 beschlossen.
Seit dem Sommer 2006 waren die kommunalen Spitzenverbände als Vertreter der Kommunen eng in den Reformprozess eingebunden und haben seither in verschiedenen Arbeitsgruppen mitgearbeitet.
Darüber hinaus sind die kommunalen Spitzenverbände im Rahmen der Erarbeitung des Gesetzentwurfs
der Landesregierung nach den Vorschriften des Konnexitätsausführungsgesetzes beteiligt worden. Daneben fanden mehrere Gespräche auf politischer Ebene mit den kommunalen Spitzenverbänden statt. Am 13. März 2007 haben die kommunalen Spitzenverbände
den Entwurf des „Zweiten Gesetzes zur Straffung der Behördenstruktur in Nordrhein-Westfalen“ zur Anhörung erhalten.
Die Kommunen waren mithin bereits vor Verabschiedung des Gesetzes am 24. Oktober
2007 in die Lage versetzt, Vorkehrungen für die Vorbereitung der Räumlichkeiten zu treffen.
Zur Frage 3
Der Landesregierung ist nicht bekannt, ob und ggf. wie viele städtische Gebäude, in denen seit dem 1. Januar 2008 Aufgaben des Schwerbehindertenrechts und des Bundeselterngeld-/
Elternzeitgesetzes wahrgenommen werden, nicht barrierefrei sind.
Zur Frage 4
Nachträgliche Umbauten ihrer Verwaltungsgebäude liegen in der alleinigen Verantwortung der Kommunen (sh. Antwort zu Frage 1).
Zur Frage 5
Nach Art. 1 § 23 Abs. 3 des Zweiten Gesetzes zur Straffung der Behördenstruktur in Nordrhein-
Westfalen erhalten die Kreise, kreisfreien Städte und Landschaftsverbände jährlich auf
Dauer einen pauschalen Sachkostenzuschlag von 10 % auf die Personalkosten für Beamte und Tarifbeschäftigte. Darüber hinaus wird ihnen nach Art. 1 § 23 Abs. 4 des Gesetzes in den Jahren 2008 und 2009 ein pauschaler Zuschlag in gleicher Höhe zur Abgeltung aufgabenspezifischer
Besonderheiten und des Umstellungsaufwandes gewährt.