
BERLIN – Die Doppelstrategie ist leicht zu durchschauen. Am Dienstag, kurz nach der Bekanntgabe der neuen Arbeitsmarktzahlen, droschen die beiden Generalsekretäre Volker Kauder (CDU) und Markus Söder (CSU) gemeinsam auf die rot-grüne Regierung ein und beschimpften deren Chef als „Kanzler der Massenarbeitslosigkeit“.
Tags darauf flatterte eben diesem ein scheinbares Friedensangebot auf den Tisch. Das hatten die Chefs der am Vortag noch so wütenden „Generäle“ geschrieben: Angela Merkel und Edmund Stoiber.
In dem Brief an den „sehr geehrten Herrn Bundeskanzler“ bieten die Unionsfürsten die Mitarbeit von CDU und CSU bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit an. „Eine Haltung des Weiterso, eine Fortsetzung des üblichen Tagesgeschäfts verbietet sich jetzt“; deshalb schlagen Merkel und Stoiber einen „Pakt für Deutschland“ vor.
Gerhard Schröder hat von dem Brief während seiner Reise durch die Golfstaaten erfahren, weil das Schreiben in Auszügen schon in einer Boulevard-Zeitung veröffentlicht worden war, noch bevor man es im Kanzleramt geöffnet hatte. Dennoch ließ der Kanzler von seinem stellvertretenden Regierungssprecher Thomas Steg mitteilen, er werde Merkel und Stoiber natürlich antworten und ausloten, wie weit die Kompromissbereitschaft der Union tatsächlich geht.
Die Themen, über die die Union mit sich reden lassen will – vom Bürokratieabbau bis zu betrieblichen Tarifbündnissen – sind alle nicht neu.
Natürlich wissen Merkel und Stoiber, dass Schröder auf ihre Forderungen so nicht eingehen kann. Er hat immer wieder betont, seinen Reformkurs zu halten und erst dann neue Ziele ins Auge zu fassen, wenn die eingeleiteten Reformen Wirkung gezeigt hätten.
NICHT IMMER NUR KLAGEN
Umgekehrt steckt hinter dem Brief wohl auch die Absicht der Union, angesichts der gewaltigen wirtschaftlichen Probleme nicht als die dazustehen, die nur klagen und nichts zur Lösung beitragen. „Immer nur draufschlagen wollen die Leute nicht“, hatte Angela Merkel in internen Gesprächen immer wieder betont und deshalb zum Beispiel ihre Freunde auch dazu bewogen, bei der Verabschiedung der Hartz-Gesetze mitzumachen.
Der Merkel-Stoiber-Brief hat auch einen zweiten strategischen Grund:
Der permanent wiederholte Appell an den Kanzler, endlich zu handeln, soll erneut die Diskussion über die „ruhige Hand“ vom Ende der ersten Legislaturperiode von Rot-Grün beleben, die Schröder unterstellte, vor den Wahlen alles schleifen zu lassen und unpopuläre Entscheidungen zu vermeiden. Drei Monate vor der so wichtigen Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen, die womöglich auch über die Zukunft der Regierung in Berlin entscheidet, könnte eine neuerliche Debatte, so scheint man in der Union zu kalkulieren, durchaus hilfreich sein.
Diese Gefahr sehen wohl auch die Genossen. Umso empörter haben sie reagiert. Ganz besonders SPD-Chef Franz Müntefering. Während sein Generalsekretär, Uwe Benneter, die Vorschläge der Union nur als „Ladenhüter“ ablehnte, brachte „Münte“ das Schreiben in Zusammenhang mit den abstrusen, aber letztlich von Edmund Stoiber gedeckten Aussagen des Markus Söder, der den Kanzler für Verbrechen an Kindern verantwortlich gemacht hatte. „Vor diesem Hintergrund den Brief zu schreiben, ist ein Zeichen dafür, dass es dieser Gruppe um die Macht geht in diesem Land, um die totale Macht.“ In der Sache kritisierte Müntefering besonders „das Schleifen der Tarifautonomie und der Betriebsverfassung“.
Hier aber hat die SPD eine Mitstreiterin bekommen. Die neue Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts, Ingrid Schmidt, hatte das deutsche Arbeitsrecht unmittelbar vor ihrer Amtseinführung als „ungeheuer flexibel“ bezeichnet, die gescholtenen Flächentarifverträge verteidigt und der Behauptung widersprochen, eine Lockerung oder Abschaffung des Kündigungsschutzes führe zu mehr Arbeitsplätzen. Kein Unternehmen werde eine Standortentscheidung davon abhängig machen, wie der Kündigungsschutz gestaltet sei. Das hat der Union gar nicht gefallen, und sie bezichtigte prompt die Präsidentin der einseitigen Parteinahme.
JÜRGEN TUCHEL
NÜRNBERGER NACHRICHTEN
3.3.2005 0:00 MEZ