AUSBILDEN ODER ZAHLEN ?!

Manuel Garcia-Limia
Manuel Garcia-Limia, JUSO-Vorsitzender im Kreis Viersen
Walter Schöler, MdB
Walter Schöler, haushaltspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion
Ozan Atakani
Ozan Atakani, Viersen

Lieber Manuel,

herzlichen Dank für Dein Schreiben vom 25.02.2004 zum Thema Ausbildungsplatzabgabe. Du hast mir drei Fragen gestellt, die ich auf meine Art beantworten will:

Der Bundesparteitag in Bochum hat im November letzten Jahres einen entsprechenden Beschluss gefasst, den die SPD-Bundestagsfraktion auch umsetzen wird, und dies mit meiner Zustimmung. Dies ist deshalb erforderlich, weil trotz rund 560.000 vermittelter Auszubildender im vergangenen Herbst rd. 35.000 Jugendliche keinen Ausbildungsplatz erhalten haben. Andererseits muss man wissen, dass auch 15.000 Ausbildungsplätze unbesetzt geblieben sind. Die Entscheidung kann auch nicht davon abhängig gemacht werden, dass es Regionen in Deutschland gibt, die aufgrund eines besonderen Einsatzes von Wirtschaftsverbänden, Gewerkschaften, Behörden und Schulen für eine möglichst hohe Vermittlungszahl gesorgt haben. Die von den Industrie- und Handelskammern Mittlerer Niederrhein, Duisburg und Düsseldorf erklärte Bereitschaft zur Beteiligung an einer Ausbildungsoffensive des Bundesministeriums für Bildung und Forschung wird von mir ausdrücklich begrüßt. Ich habe auch dafür gesorgt, dass eine Förderung des Modells für die IHK unserer Region erfolgt.
(Kleine Anmerkung am Rande: das war Ende November Anfang Dezember. Als mich der Kollege Schummer Ende Januar schriftlich fragte, ob wir uns nicht gemeinsam für das Projekt einsetzen sollten, lag der IHK bereits der Bewilligungsbescheid seit vier Wochen vor, ich hatte eine entsprechende Pressemeldung abgesetzt und ein Dankesschreiben der IHK vorliegen. Soweit zur Effektivität der Arbeit vom sog. „Medienprofi“ Schummer).

Der derzeit bei der Bundesregierung in Bearbeitung befindliche Gesetzesentwurf wird allerdings auch Vorbehalte enthalten. Zunächst soll eine Umlage in Form einer Ausbildungsplatzabgabe nur dann erhoben werden, wenn nicht im Wege freiwilliger Regelungen und Appelle eine Problemlösung herbeigeführt wird. Der Entwurf wird ferner Regelungen enthalten, wonach Betriebe bestimmter Größenordnungen (z.B. bis zu 10 Mitarbeitern) von einer Abgabe ausgenommen werden. Das wären schon ca. 80 % aller Betriebe und viele dieser kleinen Betriebe bilden immer noch aus. Zu berücksichtigen ist auch, inwieweit die Abgabe neu gegründete Betriebe finanziell besonders hart treffen würde, oder auch in Konkursverwaltung befindliche Betriebe auszunehmen wären, um eine Rettung nicht zu gefährden. Du siehst daran, dass eine gesetzliche Regelung nicht nach einem starren Muster herbeizuführen ist nach dem jeder zu zahlen hätte, der nicht ausbildet. Sobald der Gesetzentwurf vorliegt, wird die Bundestagsfraktion über die Einbringung entscheiden und eine abschließende Meinungsbildung vornehmen.

Aus meiner Sicht ist die Angst des deutschen Handwerks vor einer Ausbildungsplatzumlage nicht nachvollziehbar. Sie ist eine Umlage der Nicht-Ausbildenden an die Ausbildenden. Wer ausreichend Ausbildungsplatzangebote zur Verfügung stellt ist also hiervon nicht betroffen. Freiwillige Lösungen haben in jedem Fall Vorrang. Nur wer freiwillig seinen Beitrag nicht leistet, jungen Menschen einen Ausbildungsplatz bereitzustellen, muss ein Solidaropfer für die berufliche Zukunft der Jugend erbringen. Dies halte ich so für in Ordnung. Die Auszubildenden von heute sind die Mitarbeiter von morgen, die auch ausbildungsunwillige Arbeitgeber für ihr wirtschaftliches Überleben dringend benötigen.

Mit unserem Gesetzesvorhaben lösen wir nur die besondere Verantwortung der Arbeitgeber für die berufliche Ausbildung ein. Das Bundesverfassungsgericht hat hierzu festgestellt:
"In dem in der Bundesrepublik Deutschland bestehenden dualen Berufsbildungssystemen … liegt die spezifische Verantwortung für ein ausreichendes Angebot an betrieblichen Ausbildungsplätzen… bei den Arbeitgebern… Wenn der Staat… den Arbeitgebern die praxisbezogene Berufsausbildung der Jugendlichen überläßt, so muss er erwarten, dass die gesellschaftliche Gruppe der Arbeitgeber diese Aufgabe nach Maßgabe ihrer objektiven Möglichkeiten und damit so erfüllt, dass grundsätzlich alle ausbildungswilligen Jugendlichen die Chance erhalten, eine Ausbildungsplatz zu bekommen."
Die Ausbildungsplatzumlage fordert nur diese Verantwortung ein. Von ihr haben Arbeitgeber nur dann etwas zu befürchten, wenn sie dieser Verpflichtung auf Kosten ausbildungswilliger Arbeitgeber nicht nachkommen wollen.

So und nicht anders werde ich innerhalb und außerhalb der Partei argumentieren, wenn ich zu diesem Thema gefragt werde oder darüber referiere. Im Rahmen meiner letzten Kontakte mit der Kreishandwerkerschaft und der Industrie und Handelskammer habe ich jeweils auf die geplante Gesetzesinitiative hingewiesen und die vor einige Woche in der Fraktion gefasste Grundsatzentscheidung auch der IHK Mittlerer Niederrhein mitgeteilt.

Damit sind die beiden ersten Fragen beantwortet. Zu Deiner dritten Frage, inwieweit ich mich gegenüber der Landesregierung positioniere, habe ich ein eigenes Verständnis von Zusammenarbeit. Da ich laufend persönlichen Kontakt zu Mitgliedern der Landesregierung habe und darüber hinaus auch die Landesgruppe der nordrhein-westfälischen Abgeordneten diesen Kontakt zum Kabinett bzw. einzelnen Mitgliedern und zum Landesvorsitzenden der SPD in wöchentlichen Gesprächen pflegt, solltest Du Dir vorstellen können, dass die Ausbildungsplatzabgabe längst Thema von Gesprächen war. Ich bin davon überzeugt, dass es zu einer einheitlichen Regelung im Rahmen der Gesetzesmaßnahme zwischen der rot-grünen Bundesregierung und den rot-grünen Landesregierungen kommen wird. Problematischer ist es dort, wo wie z.B. in Bremen oder in Rheinland-Pfalz die CDU bzw. die FDP mit im Boot sitzen. Und schließlich ist Dir bekannt, dass wir im Bundesrat lediglich gemeinsam mit den Grünen 29 von 69 Stimmen haben.

Das Gesetzesvorhaben wird letztlich nur dann Wirkung zeigen, wenn es uns gelingt, in der öffentlichen Diskussion immer wieder die Verantwortung der Unternehmen für eine Qualifizierung und Ausbildung des Nachwuchses und der Beschäftigten deutlich zu machen und einzuklagen und die Nachrangigkeit gesetzlicher Regelungen, die dann möglichst unbürokratisch umzusetzen sind, betonen. Die Vorlage eines entsprechenden Gesetzentwurfes und deren Beschlussfassung im Deutschen Bundestag macht jedenfalls die Bedeutung des Punktes für die Sozialdemokratie offenbar. Ich hätte mir in diesem Zusammenhang gewünscht, dass das Thema anlässlich der Veranstaltung am 5. März in Kempen mit Harald Schartau, der sowohl unser Landesvorsitzender als auch Wirtschafts- und Arbeitsminister in NRW ist, angesprochen worden wäre, zumal mehrere Jusos anwesend waren. Dies ist aber leider nicht geschehen.

Mit freundlichem Gruß
Dein

Walter Schöler